K -News vom 04.03.2005

Durchsichtiger Manipulationstrick


Manche Farben sind nicht fürs Auge gemacht. Quaterrylendiimid zum Beispiel. Die unscheinbare Substanz mit dem sperrigen Namen nehmen wir höchstens als schwaches Blaugrün wahr. Ihre eigentliche Wirkung entfaltet sie in einem anderen, unsichtbaren Bereich des elektromagnetischen Wellenspektrums: Sie kann Wärmestrahlung, also Lichtwellen im Nahinfraroten (NIR), äußerst effizient wegfiltern.
„Absorption“ heißt dieses selektive Lichtverschlucken, das Farbstoffe erst bunt macht: Chlorophyll etwa lässt Blätter grün erscheinen, weil es den blauen, gelben und roten Spektralanteil des Tageslichts absorbiert. Pflanzen sind jedoch nicht um der Schönheit willen grün, sondern um möglichst effektiv Sonnenenergie einzusammeln. Das Chlorophyll bewirkt folglich etwas in der Pflanze und gehört damit zu den „funktionellen Farbmitteln", wie Experten solche Stoffe nennen.


Verdeckte Kontakte

Auch das Quaterrylendiimid soll nach dem Willen der Entwickler des Chemiekonzerns BASF spezielle Funktionen übernehmen und seinem Trägermaterial maßgeschneiderte, smarte Eigenschaften verleihen. „Neue, kommerziell verwertbare Chromophore gibt es nur ungefähr alle 25 Jahre", sagt Arno Böhm, der das Projekt bei BASF in Ludwigshafen koordiniert. Chromophor nennen Chemiker jenen zentralen Teil eines Farbmoleküls, dessen Elektronen mit Licht wechselwirken und so für den erwünschten Farbeffekt sorgen.
Der besondere Nutzen des Quaterrylendiimids beruht darauf, dass die Substanz für Licht aus dem sichtbaren Spektrum fast vollständig durchlässig ist. Der Farbstoff lässt sich daher gut zum Verschweißen durchsichtiger Materialien verwenden: Integriert man das Quaterrylendiimid in transparente Kunststoffbauteile und bestrahlt es mit einem Nahinfrarotloser, so schluckt die Farbe das Laserlicht. Dabei wandelt sie die Energie des Lichts in Hitze um, die den Kunststoff schmelzen und die Bauteile an der entsprechenden Stelle fest zusammenbacken lässt.
Ein Vorteil des Verfahrens: Der Laser kann durch die transparenten Materialien hindurch auch auf verdeckte Kontaktstellen zielen. Auf diese Weise lassen sich selbst überlappende Bauelemente miteinander verschweißen. Viele Industriebranchen sind darauf angewiesen, kompliziert geformte Kunststoffteile aus Einzelkomponenten zusammenzufügen, so zum Beispiel die Autohersteller bei der Produktion von Scheinwerfern. Ihnen soll das „Laserdurchstrahlschweißen" nach Vorstellung von BASF einfachere und elegantere Fertigungstechniken ermöglichen.


Medizinisch sinnvoll

Der Konzern hat dafür eigens eine neue Produktlinie mit dem Warenzeichen Lumogen® IR entworfen, die im Oktober letzten Jahres auf einer Kunststoffmesse in Düsseldorf erstmals öffentlich präsentiert wurde. Als ersten Markt peilen die Ludwigshafener die Medizintechnik an. Zum einen sind die Preise auf diesem Sektor nach Böhms Einschätzung hoch genug, um die Entwicklungskosten für den Farbstoff in drei bis fünf Jahren wieder einzuspielen. Zum anderen kommt den Quaterrylendiimid-Anbietern entgegen, dass alle Kunststoffschläuche und Plastikbeutel, die Kontakt mit Körperflüssigkeiten haben, durchsichtig sein müssen: Die Ärzte sollen auf einen Blick erkennen können, ob etwa gefährliche Luftblasen ins Blut gelangen.
Bislang werden solche Kunststoffteile beim Zusammenbau zumeist verklebt. „Dabei sind die Hersteller auf wenige Cyanacrylat-Kleber beschränkt, die auch in der Wundheilung eingesetzt werden", sagt Böhm. Denn Cyanacrylat-Klebstoffe sind für den menschlichen Körper ungefährlich, sie lassen sich sogar biologisch abbauen. Eine Eigenschaft, die in heilenden Wunden durchaus erwünscht ist, bei aneinander geklebten Kunststoffteilen aber ein Problem darstellt: Der zerfallende Kleber schränkt die Lagerzeit der oftmals recht teuren Produkte stark ein.
Diesen kostspieligen Nachteil haben verschweißte Kunststoffteile nicht. Denn die Technik des Laserdurchstrahlschweißens kann nicht nur Kanten, sondern auch große Flächen miteinander verbinden und Klebstoff daher vollkommen überflüssig machen.
Vor dem ersten Einsatz mussten die BASF-Chemiker aber in jahrelangen, fast 300 000 Euro teuren toxikologischen Studien nachweisen, dass ihr neuer Farbstoff medizinisch unbedenklich ist und dem menschlichen Organismus ebenso wenig schadet wie der Kleber.


In jahrelangen Studien galt es nachzuweisen, dass die Farbe für Menschen unschädlich ist

Heikel ist zum Beispiel eine mögliche „Migration", also das Wandern von Farbmolekülen aus der Kunststoffverpackung in Lebensmittel oder Körpergewebe. Hier erweist es sich als Vorteil, dass die Quaqterrylendiimid-Moleküle sehr groß und damit unbeweglich sind: Wie gewünscht bleiben sie in ihrem Trägermaterial. Weil die Farbe nahinfrarotes Licht extrem effizient absorbiert, müssen überdies nur relativ wenige Moleküle in den Kunststoff gemischt werden, was die Migration bedenklich großer Farbstoffmengen nach Böhms Auskunft von vornherein nahezu unmöglich macht.
Zudem können Körperflüssigkeiten den NIR-Absorber nicht aus den Schläuchen herauslösen und ins Zellgewebe transportieren. Denn alle Körperflüssigkeiten basieren auf Wasser. Und „das Quaterrylendiimid ist aufgrund seiner molekularen Struktur so wasserunlöslich, dass es aus dem Kunststoff eigentlich nicht herauskann", bestätigt Frank Würthner, Professor für Organische Chemie an der Universität Würzburg.


Kostspielige Laborkunst

Erstmals gründlich erforscht wurden all diese Eigenschaften des Moleküls nicht bei BASF in Ludwigshafen. Die eigentlichen Erfinder des neuen Farbstoffs sitzen am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz. Anfang der 1990er Jahre bekamen Klaus Müllen, Co-Direktor des Instituts, und seine Mitarbeiter von BASF den Auftrag, das Quaterrylendiimid zu synthetisieren. Das gelang den Wissenschaftlern auch, zunächst hatte die Substanz jedoch einen horrenden Preis: „Die Mainzer legten uns stolz 500 Milligramm Quaterrylen auf den Tisch, die damals 50 000 Mark wert waren", erzählt Böhm.
Mittlerweile wurden die Kosten erfolgreich gesenkt. Und für das einst unbezahlbare Laborkunstwerk sind nun neben dem Verschweißen teurer Medizinutensilien auch andere kommerzielle Anwendungen in Sicht. Weil das stabile Molekül jahrelang dem Stress stärkster Sonneneinstrahlung standhalten kann, eignet es sich etwa als Wärmeblocker: In Fenster integriert, schluckt es den Infrarotanteil des Sonnenlichts und hält so die Wärmestrahlung aus den Innenräumen fern. Umgekehrt können solche Scheiben auch Wärme im Raum einsperren, wenn der Farbstoffüberzug auf ihrer Innenseite angebracht ist und die Energie aus der absorbierten Strahlung direkt an die Innenluft abgibt. Derartige Beschichtungen bieten sich unter anderem für Gewächshäuser an.
Eine überzeugende Technologie ist allerdings noch kein Garant für einen wirtschaftlichen Erfolg. Um die neue Wärmemanagement-Methode am Markt zu etablieren, werden die Ludwigshafener große Hürden überwinden müssen. Heute benutzen Glashersteller für ihre grünlichen Wärmeschutzscheiben nämlich keine organischen Farben. Sie versetzen die „Tinted"- oder „Supertinted"- Gläser vielmehr mit Metallatomen, die ebenfalls Infrarotlicht absorbieren. Wollten sie stattdessen Quaterrylendiimid verwenden, wären sie gezwungen, ihr Produktionsverfahren komplett umzustellen. Denn die organische Verbindung braucht als Trägermaterial einen Kunststoff, beispielsweise eine dünne Folie, die das Glas überzieht. Die besten Chancen für eine Markteinführung sieht Böhm daher bei Autofrontscheiben: Solche Sicherheitsgläser sind bereits Schichtsysteme aus Glas und Kunststofffolie. Auch Kunststofffenster bieten sich zum Einbau des Infrarot-Absorbers an.


Erfolgsaussichten: ungewiss

Dass sich die Hoffnung der Industrie in eine Neueinführung nicht immer erfüllt, beweisen jüngste Erfahrungen der Konkurrenz von BASF. Die Jenoptik Automatisierungstechnik GmbH war wie die Ludwigshafener an der Entwicklung einer Anlage zum Laserdurchstrahlschweißen beteiligt und hat das System unlängst auf den Markt gebracht: „Das ist definitiv noch ein Nischenmarkt“, bilanziert Uwe Weinzierl, Leiter der Entwicklungsabteilung von Jenoptik, den bisherigen Geschäftsverlauf. Bislang verkaufe man gerade mal „zehn bis zwanzig Laseranlagen pro Jahr in Deutschland".
Die Marketing-Strategen von BASF wollen ihr neues Produkt deshalb in möglichst viele unterschiedliche Technologien integrieren und so möglichst viele verschiedene Märkte gleichzeitig erobern. Noch ist offen, wie gut ihnen das gelingen wird. Vielleicht wird die farblose Substanz ein Fehlschlag, vielleicht aber auch ein schillernder Erfolg.


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